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Young Story Award

in Schreibwettbewerbe Anthologien 30.05.2023 08:14
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 546 Beiträge | 1592 Punkte

Ich möchte gern an diesem Wettbe
Wettbewerb teilnehmen. Er geht bis zum 31.August. Autor:innen im Alter von 14-35 dürfen teilnehmen. Es sollen 12-17 Kurzgeschichten/ Kapitel einer Geschichte mit maximal 3500 Zeichen geschrieben werden.
Ich möchte gern mit folgendem Text teilnehmen. Der Titel gefällt mir jedoch nicht ganz. Hier brauche ich eure Unterstützung. Sowie zum Inhalt, Grammatik, Rechtschreibung... der einzelnen Kapitel. Danke für alle, die sich die Zeit zum Lesen nehmen.

Plötzlich Mama

Sorge
Irgendwas ist anders. Aber was?! Allein. Ich bin allein. Auf der Couch. Ah, ich bin eingeschlafen. Wie spät ist es? Moment, wo ist mein Handy?
00.00 Uhr. Der 01.04. hat begonnen, wie mir mein Handydisplay verrät.
Mmmhhh. In meinem Unterleib breitet sich ein Druckgefühl aus. So etwas habe ich noch nie gespürt. Ich reibe über meinen Bauch, entscheide mich, zur Toilette zu gehen.
Schnaufend schiebe ich meinen Körper an den Rand des Liegesofas. Seitlich gestützt, stemme ich meine kleine Kugel vor mir in die Höhe, dann den Rest von mir.
Mit beiden Händen meinen Bauch beschützend, bewege ich mich Schritt für Schritt um unser Sofa herum, durch das Wohnzimmer, über den langen Flur vorbei an unseren per Digicam festgehaltenen Urlaubserinnerungen bis in unser winziges Bad.
Als ich meine Hose mit der Unterhose nach unten schiebe, stockt mir mein Atem. Mein Herz beginnt zu rasen, verdichtet meine Atemzüge zu einem Hecheln. Blut. In meinem Slip sehe ich tiefrotes Blut schimmern.Es muss ein Traum sein! Nein, das kann nicht die Realität sein! Unmöglich!
Zitternd prüfe ich die Herkunft des Blutes: es stammt aus meinem Unterleib.
Shit! Shit! Shit!
Was soll ich machen? Ist mit meinem Baby alles in Ordnung?
Oh, bitte hilft mir doch jemand! Flüssigkeit sammelt sich an meinen unteren Augenrändern. Hin und wieder tropft etwas darüber und rutscht meine Wangen herunter. Eine eiskalte Macht schnürt sich um meinen Oberkörper. Drückt fest zu. Nur mit Mühe kann ich mich von meiner Bewegungsstarre lösen und den Toilettengang beenden.
Ich brauche meinen Mann. Er muss hier herkommen. Wenige Finger- und Handbewegungen später tutet mein Handy.„Mein Schatz, komm heim! Ich habe Blutungen. Wir müssen ins Krankenhaus.“ „Ja.“ Dann drückt er mich weg.
Laut umhüllt mich mein hochfrequentes Atmen. Konkurriert mit meinem Herzschlag. Schnellen Schrittes laufe ich ins Schlafzimmer, reiße den großen Spiegelschrank auf. Mehrere T-shirts und Pullover landen auf dem Boden. Sowie Unterwäsche, Hosen und ein Schlafanzug.
Im Wohnzimmer suche ich nach meinem E-book-Reader. Wo bleibt mein Mann? Es sind höchstens zehn Minuten bis zu seinen Eltern. Macht ihm der Grill Probleme? Weckt er seine Eltern damit sie ab jetzt auf das Pulled-pork aufpassen?
Eine Tasche! Aber ich bin zu klein, um sie vom Schrank zu holen. Haben wir irgendwo einen erreichbaren Rucksack?
Wo bleibt er bloß? Was brauche ich noch? Bestimmt muss ich mehrere Tage ins Krankenhaus. Das geht niemals von alleine weg.

Hoffnung
Klack! Jemand öffnet die Haustür. Ein Klirren ertönt gedämpft in unserem Hausflur.
Mit einem Schaben und einem abschließenden Ratschen geht sich Wohnungstür auf.
Schemenhaft subtrahiert sich eine große Gestalt vom halbdunklen Hausflur.
Grillgeruch wabert herein, bringt hektische Atemgeräusche mit. Endlich steht mein Traummann vor mir.
Tausend Emotionen fallen aus seinem Gesicht: Angst, Sorge, Unverständnis...
Sie wechseln zu schnell, als dass ich sie alle erfassen könnte.
Sekunden später hält er mich in seinen Armen.
Kurz gebe ich mich seiner Wärme hin, während Schweißperlen von seiner Stirn tropfen.
"Bist du gerannt?" Meine Stimme dröhnt ungewollt vor Härte.
"Ich wollte keine Zeit verlieren."
Drehend winde ich mich aus seiner Umarmung: "Wir müssen dringend los!"
Mit einer Plastiktüte eile ich zum Auto - schließlich will ich den Sitz nicht einsauen. Mein Mann schleppt einen Rucksack hinterher.
Auf dem Weg zum Auto weigert sich eine Straßenlaterne, uns den Boden zu erleuchten. Ich stolpere, weil ich an einem Loch im Asphalt hängen bleibe. Verfluche die Gemeinde uns den Bürgersteig schuldig zu sein.
„Wohin willst du?“ Per Knopfdruck startet den Motor unseres Mercedes.
„Ich weiß es nicht.“ Am liebsten zu Hause auf dem Sofa bleiben und abwarten.
„Okay, ich fahre erst mal los.“
Nachdem mein Schatz an die erste Kreuzung heran fährt, presse ich den Namen eines Ortes hervor. In circa 30 Minuten werden wir dort ankommen. Und in etwa acht Stunden wird eine meiner Kolleginnen ihren Dienst auf der Stroke Unit dort antreten und die Ergotherapien der Schlaganfallpatienten übernehmen. Ob sie dann meinen Namen im PC unter den täglichen Neuaufnahmen finden wird?
Große Augen machend, fragt mich mein Ehemann, warum ich nicht in mein Wahlkrankenhaus für die Geburt möchte. "Weil jetzt jede Minute zählt." Zumindest sagt mir das mein Gefühl. Wenn es sich überhaupt lohnt.
Auf meinem linken Oberschenkel spüre ich einen leichten Druck: die Hand meines Mannes. Sanft streichelt er meine Bein.
Einem Impuls folgend, lege ich beide Hände auf meinen Bauch. Ist er noch da?
Bitte gib mir ein Zeichen. Ich drücke mit meiner rechten Hand neben meinen Bauchnabel - es ist die Lieblingsstelle meines Sohnes. Keine Reaktion. Mein Drücken verstärkt sich, während ich tiefe Atemzüge mache.
Da! Eine Antwort. Neben meinem Nabel bildet sich eine tastbare Beule, die gleich wieder verschwindet.
Leben. In mir ist Leben!
Und etwas anderes: ein schmerzhaftes Ziehen am Unterbauch.
Nein, nein, nein.
„Oh nein, ich spüre eine Wehe!“ Schrill hallt meine Stimme aus meinem Mund.
Das Gefühl zu Versagen nistet sich in meinem Kopf ein.
Vor mehr als einem Jahr endete meine erste Schwangerschaft in Woche sechs wegen fehlendem Herzschlag. Soll meine zweite nach 29 Wochen enden?

Stress
"Mein Schatz!" Angst fließt aus meinem Mund. Dunkle Schatten rasen draußen vorbei, ich habe keine Chance sie mit meinen Augen zu erfassen.
Sorgen nehmen mich in den Schwitzkasten.
Meine Mundmuskulatur weigert sich zu lächeln. Egal, wie sehr ich sie zwinge. Egal wie sehr ich versuche, positiv zu bleiben.
"Ja?!" Die Hand meines Mannes streichelt mein Bein fester, schiebt würzigen Rauchgeruch zu mir.
"Du bist zu schnell. Ich weiß, du willst uns schnell ans Ziel bringen, aber mir macht die Geschwindigkeit Angst."
Ein Nicken und kurz darauf erkenne ich die Häuser des Nachbarortes auf unserem Fahrtweg. Das unangenehme Unterbauchgefühl bleibt bei mir. Als wäre es mit Sekundenkleber an mir fixiert. Ich will es sofort loswerden, das Fenster runterfahren, es hinaus werfen.
Fuck Wehe!
Oh bitte, bitte keine Geburt unterwegs. Wie sollen wir das bewältigen? Dann würde er sterben.
Kräftige Tritten neben meinem Bauchnabel wollen mir Zuversicht geben.
Zwischen Uhr und Straße hin und her blickend, bange ich um eine rechtzeitige Ankunft. Ein weiteres Unterleibsziehen macht sich über meine Hoffnung lustig. Trampelt auf meinem Traum, eine eigene kleine Familie zu gründen, herum.
No way! Du bist hier nicht der Bestimmer! Es ist mein Körper. Und der hält bis zum Krankenhaus aus.
Drei kleinere Dörfer ziehen an uns vorbei. Endlich treffen wir in der nächstgrößeren Stadt ein. Ein Kreisel, schwach beleuchtete Straßen und etliche überflüssige Kreuzungen passiert unser Mercedes. Sämtliche Fußgängerwege sind der Uhrzeit entsprechend leer gefegt. Kein einziges Auto kommt uns entgegen.
Stetig verringert sich die Distanz zu unserem Ziel.
Vor meinem inneren Auge taucht ein mir vertrautes Gebäude auf. Mit Menschen, mit denen ich gern zusammenarbeite. Oh, Arbeit ... ich sollte mich bei meinem Chef abmelden. Mit wischend-tippenden Fingern übermittel ich meine vertrackte Situation. Den Ernst der Lage wegen, betone ich, keinen Aprilscherz zu machen.
Plötzlich stoppt mein Mann. Warum? Eine Ampel. Wieso schaltet die letzte Kreuzung auf unserem Weg auf rot?
Die Antwort erscheint in Form eines rennenden Tieres. Als das Stadtlicht seine Umrisse verstärkt, erkenne ich lange Ohren: ein Hase.
Diesmal gelingt mir ein Grinsen: Mitten in der Ostersonntag-Nacht rast Meister Lampe bei Grün über die Fußgängerampel! Laut schnaubend löse ich einen Teil meiner Anspannung.

Hoffnung
Ein großer Komplex löst sich von der Nacht. Seine wuchtige Erscheinung wird von beleuchteten Fenstern begleitet. Noch nie habe ich Dankbarkeit verspürt, dass irgendjemand dieses Gebäude erschaffen hat.
Mit einem Quietschen kommt mein Mann zurück. Er stoppt vor mir.
"Die Bremsen!" In meiner Berufslaufbahn habe ich die Wichtigkeit festgestellter Bremsen mehr als einmal zu schätzen gelernt.
Er greift nach unten und reicht mir anschließend seine Hand, um mir in den Rollstuhl zu helfen.
Zögernd greife ich zu. Habe keine Ahnung, wie ich mich aus dem tiefen Autositz hieven soll ohne meine Bauchmuskeln anzustrengen. Nicht, dass der Druck auf meine Bauchdecke die Geburt voran treibt. Leicht über meine rechte Pobacke gerollt, kann ich teilweise die vordere Bauchmuskulatur umgehen. Ein weiteres Ziehgefühl, drängt mich zur Eile.
Ergeben lass ich mich per Rolli zur Anmeldung befördern. Sybille ist leider nicht da, sie hat frei. Darum muss ich mich darauf einlassen, einer mir wildfremden Anmeldekraft mein Anliegen zu schildern.
"Ich habe Blutungen und vielleicht Wehen. Bin bei 29 Wochen."
Die Augenbrauen der Frau gehen hoch, sie keucht. Nach diesem Moment des Erschreckens schickt sie uns zur Gyn. Auf eine Wegbeschreibung verzichte ich. Schließlich kenne ich mich im Gebäude aus - die Gynäkologie liegt unmittelbar über der inneren medizinischen Chirurgie mit Stroke Unit, der Schlaganfallstation.
Kaum hat mein Mann die Tür der gynäkologischen Station geöffnet, übernehmen eine Schwester und ein Gynäkologe. Beide erlauben mir keine einzige Sekunden anzukommen, heften mich sofort ans CTG zum Wehen schreiben und Herztöne aufzeichnen.
Shit! Echte Wehen!
Um mich herum entsteht Hektik, die die kräftigen Herztönen meines Babyjungen überdröhnen.
Ein Stich in meine rechte Handverbindet mich mit einem Tropf mit Wehenhemmer der meine Wehentätigkeit stoppen soll. Die Gyn-Schwester hängt das riesige Teil an einen Infusionsständer und stellt die Geschwindigkeit, mit dem das Medikament in meinen Körper eindringen soll, ein.
Whoa! Was ist das?
Als will mein Herz aus meinem Brustkorb ausbrechen, hüpft es bis in meine Kehle. Angst erfasst mich. Ich will aufstehen, wegrennen, fühle mich jedoch zu schwach.
Alter! Trotz Vorwarnung des Arztes, dass Herzrasen als Nebenwirkung auftreten wird, bin ich überrascht. Nie zuvor in meinem Leben habe ich so etwas spüren dürfen. Meine Umgebung verwandelt sich in Schemen und Satzfetzen. Kälte erfasst meinen Bauch. Dann ein leichter Druck. Der Arzt macht einen Ultraschall. Herzklabasterbedingt bekomme ich vielleicht ein Drittel seiner Untersuchung mit. Aber immerhin das wichtigste: meinem Baby geht es gut. Die Blutung ist Nebensache.

Stress
"Wo ...Sie ... hin?" What?
Mein Mann drückt meine Schulter, sieht mich fragend an.Seit wann steht mein Schatz neben mir?
Der Arzt wiederholt seine Frage - ich gebe alles um ihm zuzuhören: In diesem Krankenhaus darf ich nicht aufgenommen werden. Fachwissen und Ausrüstung für meine frühe Schwangerschaftswoche fehlen. Um mich muss sich ein Krankenhaus mit Perinatalzentrum kümmern. Dafür soll ich mich zwischen zwei Kliniken entscheiden.
Reflexartig entscheide ich mich für die Landeshauptstadt. Wohl wissend, dass sie mindestens 45 Minuten Autofahrt entfernt ist.
Die Gyn-Schwester kommt mit einer dicken Spritze an, stellt mich unter Zuhilfe meines Ehemannes auf meine Füße. Sie murmelt etwas von Lungenreife und picksen. Heftig zucke ich zusammen. Links in meinem Po verschwindet ein Medikament - die Lungenreife.
Why?
"... mich erschrocken." Mit erhobenem Zeigefinger und einem Lachen sieht mich die Schwester an.
"Wofür ist sie?" Unbarmherzig geht die Herzklabasterei weiter, gönnt mir keine Erholung, fordert alles von mir ein Gespräch zu führen.
"Das Medikament soll die Reifung der Lunge beschleunigen."
In mir legt ein Sturm los, er macht es mir schwer zu stehen, sodass ich mich sofort hinlegen will. Als will mein Herz meinen Brustkorb zertrümmern, steigert es seine Tätigkeit.
Hilfesuchend sehe ich meinen Schatz an.
Er versteht mich wortlos, stützt meinen Oberkörper, damit ich ins Liegen kommen kann.
Mit geübten Handgriffen platziert die Gyn-Schwester zwei handtellergroße Knöpfe auf meinem Bauch. Sie schließt mich erneut an das CTG an.
"... wegen Wehen ..."
Pferdegetrappel erfüllt den Raum - der Herzschlag meines, unseres Sohnes.
Dann gehen Arzt und Schwester in einen anderen Raum.
Tränen strömen über meine Wangen. Während mein Herz weiterhin Party feiert.
Ich suche das Gesicht meines Mannes. Sehe in seine ultramarinblauen Augen. Seine Pupille ist den Lichtverhältnissen entsprechend weit gestellt. Leider lenkt mich mein Herzrasen vom wunderschönen Gesicht meines Göttergatten ab.
Über achtsames Atmen versuche ich, die Oberhand über meine Körperfunktionen zurück zu erhalten.
Tricky.
Für einen kurzen Moment kann ich die Zahl zur Wehenkurve sehen: 35.
Ich habe keine Ahnung was sie bedeutet.
Bleibt mir nur, mich auf meine Wahrnehmung zu verlassen. Dieses schmerzbesetzte Ziehen lässt nach. Demnach werden Wehen in ihrer Intensität geringer. Bedeutet es, dass es wirkt?
Wärme erfasst meine linke Hand. Sanft umgreift mein Mann meine Finger und streichelt sie.
"... kommt ... Krankenwagen da ..."
Damn!
Wenn der Krankentransport kommt, muss ich meinen Schatz verlassen. Never! Wir sind eine Familie, wir gehören zusammen!
'...in times of celebration, in times of sadness, in times of pleasure and in times of pain, in times of sickness and times of health?' Yes I will - Wie wir uns in Las Vegas geschworen haben!

Beruhigung
Unter mir rumpelt es. Mein Körper wird durchgeschüttelt. Hin und wieder spüre ich die Schlaglöcher über die der Rettungswagen rast. Ab und zu höre ich seine Sirene.Wohin wir fahren, ist mir bis auf den Städtenamen ungewiss. Das Fenster in der hinteren Tür des Krankenwagens erlaubt mir lediglich die Schwärze der Nacht in Wechsel mit Straßenlaterne oder diffus angeleuchteten Äste zu erblicken.
Ich habe mich, mit dem gedimmten Bereich des Rettungswageninneren zu begügnen.
Seinen Gerätschaften an den Fahrzeugwänden und der Sanitäterin, die rechts an meiner Seite sitzt.
Links kann ich einen kleinen Monitor sehen. Er zeigt meine Werte.
"Wie ist ihr Gefühl mit den Wehen?"
"Ich glaube die sind weg. Die letzte hatte ich im Krankenhaus. Und mein Herzschlag ist etwas besser."
Die Rettungssanitäterin dokumentiert meine Aussage und verwickelt mich in ein Gespräch. Dankbar gehe ich darauf ein. Schlafen ist mit dieser Herzschlag-Odyssee und der Aufregung um mein ungeborenes Kind unmöglich.
"... es war ein Fehler. Denn nachdem sie sich ihre Krampfadern entfernen lassen hatte, bekam meine Mama neue..."
Irgendwie treffen wir uns auf einer fachlichen Ebene und tauschen Wissen und Erfahrungswerte aus.
Im Gegenzug für Informationen über Krampfadern erhält die Frau eine Anleitung zur Beschaffung von Kompressionsstrümpfen: "Sie gehen dann mit dem Rezept zum Physio, der lympht und wickelt danach. Das macht der mehrere Therapieeinheiten. Wenn er meint, das Bein wird nicht mehr dicker, lympht er das letzte Mal und schickt Sie sofort zum Sanitätshaus zum Nehmen der Maße für die Kompressionsstrümpfen. Wird das Prozedere nicht gemacht, können die Kompressionsstrümpfen niemals das raus holen was möglich ist. Sie wären von vornherein zu weit abgemessen."
Mit angespannten Augen sieht die Sani-Frau auf meinen Mund. Ihr Anblick verwandelt sie in meinen Gedanken zu einem Schwamm, der jedes einzelne Worte von mir bis auf den letzten Buchstaben in sich aufsaugt.
"Wir sind da." Dringt eine männliche Stimme an meine Ohren.
Die Krankenwagentür öffnet sich, ich werde mit der Transportliege raus geschoben. Kälte umhüllt mein Gesicht. Macht bitte schnell.Leider kennen die Rettungskräfte sich in dem Krankenhauskomplex nicht aus, schieben mich hier hin und dorthin um zu erfahren, dass sie falsch sind.
Back to the roots, geht die Fahrt weiter.
Schnell setzen die Sani-Frau und ich unser Gespräch fort. Meine Erfahrungen mit Wachkoma- und Schlaganfallpatienten geben uns weiteren Gesprächsstoff.
Oh come on! Warum kennt diese Blutdruckmannschette kein Pardon! Ihr Druck auf meinen Oberarm ist kaum auszuhalten. Immerhin zeigt mir der Wert, den sie auf den Monitor ausspuckt, dass diese Herzklabaster-Nebenwirkung dem Ende zu geht. Mein Puls ist bei 123.
Dummerweise ist die zweite angefahrene Klinik genauso verkehrt. Bevor sie mich zum dritten Mal sinnlos umherschieben, stiefelt der Sanitäter allein los und prüft die Lage.

Scham
"Okay, ihr Sohn hat 37 cm und 1400g. Alles in Ordnung. "
Ich habe meine Orientierung verloren. Dafür weiß ich, dass es dem kleinen Jungen in meinem Bauch prächtig geht.
"Sie bleiben hier und wenn für 24 Stunden keine Blutungen mehr auftreten, können wir sie entlassen. Der Wehenhemmer wird abgesetzt. Und gegen 2.00 Uhr bekommen Sie die zweite und letzte Lungenreifespritze. Damit steigt die Überlebenschance ihres Kindes, falls es doch bald auf die Welt kommt."
Ein Seufzer stürzt sich aus meinem Mund.
"Auch wenn keine Wehen mehr da sind, müssen sie morgens und abends ans CTG zur Kontrolle. Die Hebamme wird sie gleich nochmal anschließen, dann dürfen Sie auf ihr Zimmer."
Jawohl Chef, Doc! Mit einer heftigen Nickbewegung ergebe ich mich den nächsten Krankenhaustagen.
"In welchem Krankenhaus bin ich?"
"Ich dir zeige." Mit ihrer rechten Hand holt die Geburtshelferin ihr Smartphone aus ihrer Tasche, tippt etwas ein und zeigt mir die Adresse.
"Jetzt CTG." Dem Akzent nach stammt sie aus Italien. Ihrem Namen nach, der auf einem Schild auf Brusthöhe steht, ebenso: Gracia.
Zügig schließt mich die Frau an das Aufzeichnungsgerät. Weil mein Baby Party in mir machen möchte, schiebt sie die Knöpfe, die die Muskelkontraktionen meiner Gebärmutter und die Herztöne meines Sohnes aufzeichnen sollen, mehrmals über meinen Bauch. Schließlich findet sie eine geeignete Stelle. Danach lassen mich Arzt und Hebamme allein.
Während ich auf das Ende des Wehenschreibers warte, tippe ich eine SMS an meinen Mann. Danach hefte ich meine Augen auf die sich verändernden Zahlen des CTG-Monitors und lasse mich von den Herztönen meines Babys einfangen. Ginge es nach mir, käme jetzt das Sandmännchen hereingeschwebt und würde mir feine Sandkörner ins Gesicht werfen. Aber der Typ ist eine Fantasiefigur und mein Körper zu aufgewühlt um in den Schlaf zu kommen.Eine halbe Stunde später - halb sechs - bringt mich eine Gyn-Schwester in ein Patientenzimmer.
In diesem liegt eine Frau, die mir eine Begrüßung entgegenwirft. Fangsicher antworte ich.
"Ich bin hier weil ich Blutungen in der siebten Woche habe. Die Ärztin konnte gestern keinen Herzschlag finden. Sie wollen heute wieder schauen. Eigentlich gehöre ich auf die richtige Gyn, nicht die Schwangerenstation. Aber die hat zu wenig Personal und wurde geschlossen."
Crap!
Ihr Erlebnis klingt nach einer Fehlgeburt. Erinnerungen an meine eigene Situation vor über einem Jahr werden wach: Fehlender Herzschlag in Woche sechs.
Schnell rufe ich mir das pferdegetrappel-ähnliche Geräusch des Herzschlages meines Kindes in Erinnerung. Er lebt. Mein Sohn hat einen Herzschlag!
Das Herzschlaggeräusch wird zu meinem Anker und hilft mir weitere Stunden bis mein Mann als Ablenkung auftaucht, auszuhalten.
"Wir haben dir etwas übrig gelassen." Er gibt mir eine Brotdose.
Zähe Fleischstücke wandern in meinen Mund. Verwandeln sich in Schuld. Wegen mir, ist das Pulled Pork missglückt. Um es perfekt zu machen, hätte die Temperatur im Grill möglichst gleich bleiben müssen.
"Alles gut, ihr wart mir wichtiger." Anscheinend habe ich schön blöd geglotzt.

Erschütterung
Hä? What?
Eben habe ich mich doch mit Prüfungsfragen zur Ernährung befasst. Aber wie war das gleich? Es entgleitet mir, stellt sich als Traum heraus.
Ein bockiges Kissen liegt unter meinem Kopf, hat sich nachts mehrfach geweigert, sich an meine Kopfform zu schmiegen. Eine gestreifte Decke verdeckt meine Schwangerschaftskugel.
Gähnende sehe ich mich im Raum um. Habe Mühe Augen offen zu halten.
"Guten Morgen..." Mich begrüßt eine blonde Frau. Ah ... stimmt. Langsam spuckt mein von Schlafdefizit betroffenes Hirn Infos aus. Die Patientin mit der Fehlgeburt, wurde gestern nach Hause geschickt. Ihr Körper darf sich selbst um das Kind kümmern.
"Hi, ich bin Nina. Kam mitten in der Nacht rein, du hast gepennt! Hab' nen Blasensprung, kommt immer mal ein bisschen was raus. Krieg ein Mädchen. Bin bei 30 Wochen und zwei Tagen. Und du?"
Wow, alles in einem Atemzug.
Obwohl ich der Müdigkeit unterlegen bin, erweckt sie in mir den Impuls, ausführlich zu antworten.
Mit Nina erhalte ich nicht nur eine kommunikative Ablenkung, sondern eine Watschelbegleitung zum Kreißsaal für die angesetzten CTGs. Meist sitzen wir unsere Wehenschreiber-Sitzungen alleine ab. Darum ist meine Freude mega, als mein Mann bei einem dabei sein kann.
"Hallo, ich bin Frau Koch. Schön, dass ich Sie gleich beide hier antreffen kann." Eine Mittdreißigerin betritt den Raum und stellt sich als eine Neonatologin heraus - Kinderärztin mit Spezialisierung auf unreif und krank geborene Babys, die ihre Chance nutzt, mich und meinen Mann auf eine Frühgeburt unseres Sohnes vorzubereiten. "Aber ich glaube kaum, dass das passiert. Ihre Werte sehen gut aus." Die Worte der Ärztin bilden einen Mantel, der mich umhüllt.Und den brauche ich am nächsten Tag dringend. Direkt nachdem mein Ehemann von seinem Nachmittagsbesuch nach Hause gefahren ist, regt sich mein Unterleib. Dezentes Ziehen versetzt mich in Alarmbereitschaft.
"Oh, oh..." Stierend sehe ich zu Nina.
"Wehen?! Ab ans CTG!"
Bevor sie zu Ende gesprochen hat, habe ich nach einer Schwester geklingelt.
"Ja?" Braune Haare lugen zur Tür herein.Hui, die war wohl gerade in der Nähe?
"Ich hab wahrscheinlich Wehen."
"Okay..." Weg ist sie.
Kurz darauf kommt die Gyn-Schwester zurück, drückt mir meine Akte in die Hand und schickt mich in den Kreißsaal. Kaum misst das CTG, zeichnet es leichte Wehentätigkeiten auf. Dafür sind die Herztöne super.
Wegen mir müssten es keine 30 Minuten Aufzeichnungen sein. Mir ist klar was los ist. Aber so ist das Procedere. Abschließend untersucht mich eine Ärztin.
"Hm, ihr Gebärmutterhals ist auf vier Millimeter verkürzt. Ich gebe Ihnen einen Magnesiumbolus - als Tropf - das soll die Muskelkontraktionen Ihrer Gebärmutter verringern. Sonst sieht alles gut aus. Es geht noch nicht gleich los. Im CTG war nur eine leichte Wehentätigkeit."
Damit darf ich ins Zimmer zurück.

Ohnmacht
Es ist zu früh! Dieser Satz manifestiert sich in meinem Kopf.
"Hmmmmmh!"
"Wehe?!"Um den Schmerz zu entgehen, halte ich Augen und Mund geschlossen, nicke stattdessen.
"Aber du hast doch vorhin keine im CTG gehabt, haste gesagt." Zimmernachbarin Nina klingt ungläubig.
Das reißende Gefühl, das von meinem Unterbauch bis Schambein geht, lässt nach: "Ja."
"Aber wieso jetzt?"
Ich zucke mit meinen Schultern: "Sehnsucht, weil mein Mann eben nach Hause fuhr?"
"Na los, klingel!"
Ninas Aufforderung folgend, suche ich den Klingelknopf und betätige ihn.
Weil es 21 Uhr und damit Dienstübergabezeit ist, muss ich warten und weiteren fiesen Wehenschmerz aushalten.
Es ist zu früh!
Endlich sieht eine Gyn-Schwester nach mir: "Oh!"
Einen kurzen Moment später verfrachtet sie mich in einen Rollstuhl.
Auf dem kurzen Weg zum Kreißsaal, krümme ich mich schmerzbedingt.
Ähnlich wie die Schwester, reagieren die Hebammen unmittelbar, schieben mich in einen der Räume und verbinden mich mit dem Wehenschreiber. Gracia bleibt an meiner Seite. Sie strahlt in der Ruhe der Nacht. Pferdegetrappel erfüllt den gedimmten Raum, grünes Licht strahlt vom CTG-Monitor, bestätigt meine Befürchtung.
Stop it! Stop it! Mir fehlt der Geburtsvorbereitungskurs.
Irgendwas zieht mein Unterleib auseinander, lässt mein Schmerzgefühl auf der Schmerzskala von vier für Spannungskopfschmerz zur sechs für Rheumaschmerzen klettern.
Es ist zu früh!
Womit halte ich das auf?
"Möchte Sie Schmerzemittel?"
"Jaaaaaah." Meine Antwort endet in einer Wehe.
Entspannung! Bitte liebes Unterleib, entspann dich. Vielleicht hilft es mir, wenn die Schmerzen ausgeschaltet sind. Minute um Minute vergeht, Kontraktion um Kontraktion durchfährt meinen Unterkörper.
Jede einzelne versuche ich, mittels Ausatmen in ihrer Intensität zu dämpfen. "Oooooh"
Es ist zu früh!
Nach weiteren Schmerzgeräuschen, die über meine Lippen gedrungen sind, pegelt sich meine Wahrnehmung zwischen zwei und drei ein. Das Medikament übernimmt die Kontrolle und verlängert die Wehenabstände.
Entspannung ist im Anflug, wird jedoch von etwas anderem ins Aus gekickt: ein Druckgefühl in meinem Magen. Kriechend schleppt es sich meine Speiseröhre hinauf, malträtiert meine Kehle.
Ein Zucken schüttelt meinen Oberkörper durch. Unkontrolliert ergießt sich mein Abendessen in einer Nierenschale, die mir Gracia vor mein Gesicht hält. Offenbar habe ich Schmerz gegen Übelkeit getauscht.
Ein weiterer Schwall plätschert in die Schale.
Sanft ruht die Hand der Geburtshelferin auf meiner Schulter.
Hebamme Gracia fängt weitere Male mein teils verdautes Abendbrot auf. Nach dem vierten Mal würde ich Spucke und Galle heraus. In meinem Hals brennt es.
"Trinken." Buchstaben, die über ein Reibeisen wandern.
Vor meinem Mund taucht ein Strohhalm auf. In kleinen Schlucken lösche ich das brennende Gefühl in meiner Kehle.
Mit der Hilfe der Geburtshelferin lege ich mich auf die Seite. Jedoch nur kurz, weil ich wieder würge. Doch es kommt nichts.
Erneut bettet mich die Hebamme, diesmal auf der anderen Seite. Wieder bringt mich ein Würgen zum Sitzen.
Calm down! Bitte gönnt mit etwas Ruhe.

Überwältigung
Hm, habe ich geschlafen?! Wie lange? Dumpf kehrt mein Körpergefühl zurück. Erschöpfung schmiegt sich an mich, bettelt um meine Aufmerksamkeit.
Immerhin ist die Übelkeit ausgewandert, hinterlässt ein Loch in meinem Bauch.
Hochkonzentriert meinen verschwommenen Blick zu klären, informiere ich mich über meinen Zustand: keine Wehen, Herzfrequenz im Normbereich. Vielleicht habe ich alles überstanden, oder?
Shit! Habe ich nicht.
Mit einem Schmerzwert von vier kehrt die erste Welle zurück. Ihre Freundin kommt kurz darauf in gleicher Stärke. Zeitgleich öffnet sich die Tür und Gracia betritt den Raum.
"Wie geht?"
Ich mache die "so lala"-Gestik.
"Trinke?"
"Ja." Geräusche, die von einer Gemüsereibe stammen können, dringen aus meinem Kehlkopf über meine aufgesprungenen Lippen. Hart stechen abgeplatzte Bestandteile meiner verdorrten Lippenhaut in die weiche Haut darunter.
Mein Flüssigkeitshaushalt hängt so schief, dass ich hastig am Trinkhalm sauge und die Plastikflasche ihres Inhaltes beraube.
Zunächst ist das Schlucken unangenehm, dank des Wassers verschwindet der Schluckschmerz.
Wie spät ist es?
Zwei große Fenster verraten mir, die nächtliche Stunde. Über der Tür hängt eine Uhr. Den Stand der Zeiger kann ich sehen, jedoch weigert sich mein Hirn eine Uhrzeit daraus abzulesen. Deshalb mogel ich mit der digitalen Uhr meines Handys: 3.17 Uhr. Anscheinend habe ich zwei bis drei Stunden schlafen dürfen.
Vorsichtig stemme ich mich hoch.Error! Schwindel erfasst mich. Sofort stütz ich meinen Kopf mit meinen Händen ab, warte auf Besserung.
Erst als mich Gracia seitlich platziert, verfliegt das Schwindelgefühl.
"Hoooooh..." Ausatmend versuche ich dem Wehenschmerz seine Stärke zu nehmen.
Eine Wehe nach der anderen stürzt sich auf mich.
Aufgeben ist keine Option. Ich will das schaffen.
Minute um Minute vergeht, meine Schmerzen steigern sich auf eine sechs.
Nein, ich werde meinen Mann nicht wecken. Schließlich muss er früh raus und fast eine Stunde auf Baustelle fahren.
Nach unzähligen wehenbegleiteten Minuten beendet meine Nachthebamme ihren Dienst.
Ein Wirbelwind von Hebamme stürmt zu mir ans Bett: "Einen schönen guten Morgen! Ich bin Hebamme Sabine!"
Assipalmen - eine Frisur, die eine ehemalige Klassenkameradin Anfang der 2000er gern trug - wackeln auf ihrem Kopf. Etwas unpassend für Sabines Alter, dafür kongruent zu ihrer Lebendigkeit.
"Uuuuuuuuh... Was ist mit mir? Geht das wirklich los? Sollte ich meinen Mann anrufen?" Gehechelte Worte
"Du hast deinen Mann noch nicht informiert? Warte ..." Drei weitere Wehen - denen ich eine sieben verpassen möchte - später kommt Sabine zurück gerannt: "Die Oberärztin sagt, du sollst lieber anrufen."
Sämtliche Hoffnung, die Geburt erneut aufgeschoben zu haben, verlässt mich.
Damn!
Nach dreimal Tuten, nimmt mein Ehemann ab: "Er kommt!"
"Was?! Ich bin über 130 Kilometer entfernt?!"

Furcht
Halb zehn. Wo bleibt er?
Ich will ihn hier haben! Es darf nicht ohne sein!
Bitte, das ist mein letzter Wunsch: Lass meinen Mann die Geburt seines ersten Kindes miterleben.
Einer Wehenpause dank, kann ich die Nummer meines Mannes wählen.
"Mein Schatz ..." Leise schwebende Töne, die meine Stimme darstellen wollen, wandern durch mein Telefon.
"Hier ist Stau!"
Überirdische Kräfte zerren meinen Schambereich auseinander. Auf der Skala bin ich bei Nierenkoliken, die mit einer acht entsprechen.
Nach weiteren fiesen Muskelkontraktionen in meinem Unterleib, fliegt die Tür auf.
Flotten Schrittes begrüßt mich eine Gynäkologin. Sie will nach mir und dem kleinen Kerl in meinem Bauch sehen. Ihre Untersuchung steigert meine Schmerzwahrnehmung auf eine neun. Jede Berührung ist irrsinnig unangenehm.
"Er liegt mit dem Kopf nach unten. Zum Glück."
Keuchend versuche ich mich im Lächeln.
Punkt 10 öffnet sich ein weiteres Mal die Tür. Engelsgleich steht mein Mann im Türrahmen.
Überraschung, Sorge, Hoffnung, Unsicherheit wechseln sich auf seinem Gesicht ab.
"Hallo." Erleichterung erfüllt mich.
Hebamme Sabine platziert den werdenden Vater an meiner linken Seite.
Vorsichtig streicht er über meine Haare, ergreift meine Hand. Leider kann ich seine Liebkosung kaum genießen.
Schmerzwelle um Schmerzwelle nimmt mir die Gewalt über meinen Körper.
Am liebsten würde ich aufstehen und wegrennen, aber selbst Liegen ist für mich zu anstrengend.
Und der Druck auf meinem Bauch unerträglich. Mit schnellen Armbewegungen schiebe ich die Knöpfe des CTGs weg.
"Nein, die brauchen wir, um zu wissen, wie es deinem Kind geht!" Geburtshelferin Sabine legt sie wieder auf, schiebt sie hin und her um die Herztöne meines Sohnes zu finden.
"Das tut weh!" Ähnlich wie Zahnschmerzen infolge eines eitrigen Zahnes inklusive einer Wurzelbeteiligung. "Whaaaaaa..."
Atmen fällt mir zunehmend schwer.
Zur Schmerzentlastung spanne ich alles mögliche in meinem Körper an und spüre wie ich die Hand meines Ehemannes zerquetsche.
Ein seltsames Gefühl, begleitet von einer lärmenden Wasserfallkaskade, durchzieht meinen Schambereich.
„Achtung, hier ist Rutschgefahr.“
Mein Seh- und Hörsinn weigern sich zu arbeiten, die Schmerzen lassen ihnen keinen Raum.
Aus meinem Unterbewusstsein dringt der Befehl zum Pressen. "... Herztöne ... zurückschieben ..."
What? Was passiert hier?
"... nochmal."
Pressen?
Erneut sammel ich Kraft, schiebe sie in meinen Unterbauch.
"Los Papa, die Schere! Schnell, schnell!"
Ein Hall vergangener Schmerzen erfasst mich, reduziert sich auf eine nette vier.
Endlich kehrt mein Kopf auf die Bühne zurück, dirigiert, lenkt und verarbeitet die Wahrnehmung meiner Sinne.
Vor mir stehen Sabine und eine Ärztin. Wie in der Anfangssequenz von König der Löwen, halten sie ein kleines Wesen in die Höhe - meinen Sohn.

Enttäuschung
Wer sitzt da?
Mann oder Frau? Männlich, eindeutig. Blonde Wuschelmähne.
Kompromisslose Müdigkeit will mich zurück in ein traumfreie Zone zerren. Aber nicht mit mir. Mit zusammengekniffenen Augenlidern und auf einander gepressten Kiefern zwinge ich mein Hirn, seine Aktivität zu erhöhen. Über die Seite rollend mit bringe ich meinen Oberkörper vom Liegen in eine aufrechte Position.
Ich bin Mama.
Und bei mir befindet sich der Papa.
„Mein Schatz! Unser Sohn hat gar nicht geschrien, als er auf die Welt kam.“ Plötzlich sind die vergangen Stunden greifbar.
„Oh doch, das hat er. Er war sehr laut.“ Ungläubigkeit heftet sich an meine Schultern und drückt sie nach unten: „Daran erinner ich mich kein bisschen.“ Augen, die durch Sonnenlichteinfall blau funkeln, senden mir Ruhe. Eine sachte Berührung seidiger Lippen auf meiner Stirn hinterlässt ein Mix aus Kribbeln und Brennen.
"Ich habe ihn verpasst ..."
Meines Mannes intensives Lächeln versucht, meine Ernüchterung zu mildern.
„Ich war schon bei ihm und musste viele Dinge ausfüllen. Wir können ihn nachher beide besuchen.“
„Ja, unbedingt.“
Kurz darauf bewertet eine Schwester meinen Zustand als krankenzimmertauglich und bringt mich zurück. Im Schlepptau folgt mein Ehemann.
"Und biste jetzt Mama?" Kaum bin ich im Patientenzimmer, attackieren mich neugierige Worte.
"Ja..." Durch Ninas Frage lasse ich die Geburt Revue passieren. Erinnerungen, die mir abhanden gekommen sind, ergänzt mein Mann. Und das sind erstaunlich viele.
"Dann hast du immer wieder 'ich will nicht mehr' und 'heute stell ich mich aber an' gesagt"
Obwohl ich gern im Boden versinken möchte, stecken mich die Lacher von Nina und meinem Ehemann an.
"Herzlichen Glückwunsch." Übermäßig gute Laune braust in Form einer schlanken Mittzwanzigerin mit Krankenschwesterkluft herein.
Why? Die Frau hat mir doch nicht ernsthaft gratuliert!
"Danke." Zum Glück hat mein Mann sich zu der Gyn-Schwester gedreht, sonst würde er meine hochgezogene rechte Augenbraue sehen.
"So, dann zeige ich Ihnen, wie Sie Milch gewinnen können."
Hä? Aus meinen Brüsten soll tatsächlich Muttermilch kommen?
Meine Skepsis hält sich kurz. Nachdem ich die simplen Ausstreichbewegungen nachgemacht habe, bilden sich kleine gelbliche Tropfen an meinen Brustwarzen. Wie gezeigt, fange ich sie in zwei Plastikbehältern auf.
Gegen meine Schmerzen überlässt mir die Schwester ein Medikament. Ich zöger, es zu nehmen, weil meine Beschwerden null und nichtig sind.
Nachdem die Krankenschwester den Raum verlassen hat, beende ich das Milch ausstreichen. Schnaubend betrachte ich das Ergebnis: die Böden beider Behälter sind nicht mal annähernd gefüllt.
"Wird schon" mein Mann steht auf "Ich hol dir einen Rollstuhl, frage mal schnell die Schwestern."
Während ich auf meinen Mann warte, kommt mir der Gedanke, dass mich Nach-der-Geburt-Schmerzen beim Besuch meines Kindes überraschen könnten und die Tablette landet in meinem Magen.

Glück
"Herzlichen Glückwunsch" Ein Chor aus drei Menschen überwältigt mich.
Warum gratulieren die? Es ist doch schief gegangen. Meine Schwangerschaft ist zehn Wochen zu früh zu Ende.
Den üblichen Gepflogenheiten nach, bedanke ich mich ohne es ernst zu meinen.
Dann werde ich von meinem Mann an ein Waschbecken geschoben. "Wann immer man die Station betritt, muss man sich die Hände waschen und desinfizieren."
Okay, Ringe ab und los.
Warmes Wasser rinnt über meine Hände, ich ergänze es mit Seife und säubere meine optisch reine Haut. Nach gründlichem Abtrocknen, betätige ich den Desinfektionsmittelspender.
Während meine Nase von Desinfektionsmittelgeruch geärgert wird und meine von Neurodermitis geplagte Haut sich über das Desinfizieren beschwert, sehe ich mich im Raum um: Vier Inkubatoren sind auf die Raumecken verteilt.
Wo ist er? Geht es ihm gut, ist er stabil, ist er gesund? Gibt es Komplikationen? Bin ich wirklich Mama?
"Ach schön, das nehme ich." Eine Schwester nimmt mir die Fläschchen mit den paar Milchtropfen ab. "Damit wische ich nachher Ihrem Sohn den Mund aus - ist zu wenig zum Sondieren."
Bumm, das traf meinen Nacken.
Wie soll ich mein Baby ernähren?
Egal, um meinen Wunsch zu stillen, sorge ich mich später.
„Ach, jetzt lerne ich die Mama kennen. Herzlichen Glückwunsch nochmal. Ich habe Ihren Sohn erstversorgt.“
Groß, schlank, graue Schläfen steht ein Mann in weiß vor mir. Das Schild auf seiner Brust, verrät, dass er Neonatologe und Stationsarzt ist.
Er führt mich und meinen Ehemann zu dem Inkubator vorne links.
"Lassen Sie sich nicht von den Monitoren abschrecken." Mit der rechten Hand zeigt er auf einen Bildschirm auf dem drei wellenförmige Linien und sich verändernde Zahlen zu sehen sind.
"Ach, kein Problem. Ich bin Ergotherapeutin und kenne die von der Stroke und den Schlaganfallpatienten." So, bitte keine ellenlangen Einleitungen, ich will was über meinen Sohn wissen.
"Ah, dann kennen Sie das, wenn die Piepen..." Professionell schwingt der Arzt um und informiert uns über den Gesundheitszustand unseres Kindes.
Dass mir 30 Schwangerschaftswochen gegönnt wurden, bringt ihm eine stabile Ausgangssituation ein. Die Atemunterstützung, die auf seiner Nase angebracht ist, wird er in den nächsten Tagen abtrainieren dürfen. Die meisten Kindern reifen gut nach und bleiben bis zu ihrem errechneten Geburtstermin im Krankenhaus. Dem Kleinen Kerl steht also einiges bevor: trinken lernen, Temperatur halten, Atmung koordinieren ...
Seufzend sehe ich mich in Gedanken zehn Wochen lang am Inkubator hocken. Hängende Schultern, starrer Blick, schlaffe Mundwinkel.
"So, und jetzt dürfen Sie Ihren Sohn berühren. Bitte nur die Hand auflegen - streicheln würde sein Nervensystem überfordern."
Langsam öffnet der Arzt eine tellergroße Klappe und tritt beiseite.In Zeitlupentempo strecke ich meine Hand in den Plastikkasten, der meinen Sohn beherbergt. Warme Luft umströmt meine Haut. Irgendwann berühre ich den Bauch meines Babys. Ich fasse ich mir ein Herz, und spreche unseren Sohn an:„Hallo Ole, ich bin deine Mama und deinen Papa habe ich auch mitgebracht.“

Stolz
Ein großer Hirsch am Straßenrand veranlasst mich, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Dabei würde ich lieber Vollgas geben. Sollte man aber in einer solchen Situation nicht machen. Ein Wildunfall würde mehr als ein kaputtes Auto mit sich bringen.
Als ich die Stadt erreiche, verlässt mich etwas Anspannung. Den gefährlichen Teil habe ich geschafft. Jetzt steht mir der Stadtverkehr bevor.
Meine Finger trommeln auf dem Lenkrad, weil mich eine Ampel zwingt, anzuhalten. Kann man die Phasen nicht länger machen?
Endlich wird sie grün. Ich biege ab, parke das Auto und rase auf die Station zu meiner Frau. Eine Hebamme schickt mich in den richtigen Raum.
Als ich die Tür öffne, liegt sie auf einem Bett. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt und ihr
"Hallo" von Stöhnen begleitet.Tief atmend, stelle mich darauf ein, die nächste Zeit an ihrer Seite zu verbringen und nichts machen zu können, als "nur" da zu sein.
Kaum sitze ich neben ihr, greift sie meine Hand und drückt sie fest.
Immer wieder sehe ich zur Uhr. Die Zeit verrinnt. Und wird von ihren "Aaaahs" und "Ooohs" oder manchem Fluch begleitet. Wieso kann man ihr das nicht abnehmen? Wenn ich ihre zusammengebissenen Zähne sehe oder wie sie ihre Augen zu kneift, möchte ich ihren Platz einnehmen.
Ehrlich gesagt, fühle ich mich machtlos und überflüssig. Sie leiden zu sehen, sticht mir tief in mein Herz.
"Mein Schaaaaaatz..."
"Ich bin hier."
"Es soll jetzt aufhören." Gequälte Töne dringen aus ihrem Mund.
Ihre Lippen sind aufgesprungen und sie hat sie sich blutig gebissen. Sie muss Durst haben. Langsam reiche ich ihr eine Flasche Wasser mit Strohhalm. Hastig nimmt sie ein paar Züge.
Die Zeit zwischen den Wehen verkürzt sich, lässt ihr keinen Raum zur Erholung.
Zimmerlaut stöhnt sie, versucht den Anweisungen der Geburtshelferin folge zu leisten. Dreht sich wie gefordert auf die Seite.
"Nee, geht nicht." Peitschende Worte zwischen zwei Wehen.
Bing Bing - am Monitor, der Herztöne und Wehentätigkeit aufzeichnet, geht ein Alarm los.
"Oh, ich muss die Geburt hemmen. Das geht sonst zu schnell für den Kleinen. Seine Herztöne sacken ab." Die Hebamme bereitet einen Tropf vor und schließt ihn an die Nadel in der Hand meiner Frau.
Kurz darauf verringern sich die Wehen, ihr Stöhnen wird weniger.
"Besser?" Eine überflüssige Frage von mir.
Müde nickt sie und schließt kurz ihre Augen.
Mit einem erneuten Blick auf die Uhr sehe ich, dass die Mittagszeit vorüber ist. Schlagartig werde ich mir der Leere in meinem Magen bewusst. Darum kann man sich später kümmern. Kann sie nicht allein lassen.
"Wie viel länger wird die Geburt durch den Wehenhemmer dauern?"
"Ich schätze ein bis zwei Stunden." Doch die Fachfrau irrt sich, als ich ein weiteres Mal zur Uhr sehe. Es ist später Nachmittag. Erst am Abend darf ich den Schrei unseres Sohnes hören.
Mit Schmetterlingen in Brust und Bauch umarme ich meine erschöpfte Frau. Nie hat sie mich stolzer gemacht.
"Wie soll er heißen?"
"Jonas" Plötzlich strotzt sie vor Kraft und sieht mich und die Hebamme mit hochgezogenen Mundwinkeln an.
Nachdem ein Arzt den Kleinen begutachtet hat, wird er auf die Brust meiner Frau gelegt. Leider muss er schnell zur Neonatologie und wird vom Doc weggenommen. Kurz darauf wird meine Frau versorgt und ich nutze meine Chance für ein Telefonat.
"Ole! Dein kleiner Bruder Jonas ist da."
"Jonas?" Höre ich meinen Fünfjährigen am Telefon fragen.


Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
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#2

RE: Young Story Award

in Schreibwettbewerbe Anthologien 04.06.2023 13:23
von Bree • Federlibelle | 4.166 Beiträge | 16592 Punkte

Puh, liebe @Sabrina Meinen

das ist eine Menge Text. Mal sehen, was ich so finde.

Sorge
Irgendwas ist anders. Aber was?! (Das Ausführungszeichen würde ich rausnehmen. Sowas wird ungern gesehen) Allein. Ich bin allein. Auf der Couch. Ah, ich bin eingeschlafen. Wie spät ist es? Moment, wo ist mein Handy?
00.00 Uhr. Der 01.04. hat begonnen, wie mir mein Handydisplay verrät.
Mmmhhh. In meinem Unterleib breitet sich ein Druckgefühl aus. So etwas habe ich noch nie gespürt. Ich reibe über meinen Bauch, entscheide mich, zur Toilette zu gehen.
Schnaufend schiebe ich meinen Körper an den Rand des Liegesofas. Seitlich gestützt, Komma weg stemme ich meine kleine Kugel vor mir in die Höhe, dann den Rest von mir.
Mit beiden Händen meinen Bauch beschützend, Komma weg bewege ich mich Schritt für Schritt um unser Sofa herum, durch das Wohnzimmer, über den langen Flur vorbei an unseren per Digicam festgehaltenen Urlaubserinnerungen bis in unser winziges Bad.
Als ich meine Hose mit der Unterhose nach unten schiebe, stockt mir mein Atem. Mein Herz beginnt zu rasen, verdichtet meine Atemzüge zu einem Hecheln. Blut. In meinem Slip sehe ich tiefrotes Blut schimmern. Leerzeichen Es muss ein Traum sein! Nein, das kann nicht die Realität sein! Unmöglich! Drei Ausführungszeichen hintereinander - das wirkt sehr auf Drama gequält. Die ersten beiden brauchst du m. E. nicht.
Zitternd prüfe ich die Herkunft des Blutes: es stammt aus meinem Unterleib. Der Satz ist für das Verständnis nicht notwendig.
Shit! Shit! Shit!
Was soll ich machen? Ist mit meinem Baby alles in Ordnung?
Oh, bitte hilft mir doch jemand! Flüssigkeit sammelt sich an meinen unteren Augenrändern. Hin und wieder tropft etwas darüber und rutscht meine Wangen herunter. Eine eiskalte Macht schnürt sich um meinen Oberkörper. Drückt fest zu. Nur mit Mühe kann ich mich von meiner Bewegungsstarre lösen und den Toilettengang beenden.
Ich brauche meinen Mann. Er muss hier herkommen Besser: Nach Hause kommen. Wenige Finger- und Handbewegungen später tutet mein Handy. Besser: Mit zitternden Fingern suche ich seine Nummer im Handy, warte atemlos, bis er sich endlich meldet.
„Mein Schatz, komm heim! Ich habe Blutungen. Wir müssen ins Krankenhaus.“
„Ja.“ Dann drückt er mich weg.
Eine seltsame Konversation in diesem Augenblick. Vielleicht besser:
"Liebling, komm bitte nach Hause", sage ich drängend. Mühsam halte ich die Tränen zurück. "Ich habe Blutungen. Wir müssen ins Krankenhaus. Unser Baby ..."
"Ach, du Sch...! Ok, ich komme."
Oder so ähnlich.

Laut umhüllt mich mein hochfrequentes Atmen. Konkurriert mit meinem Herzschlag. Schnellen Schrittes laufe ich ins Schlafzimmer, reiße den großen Spiegelschrank auf. Mehrere T-shirts und Pullover landen auf dem Boden. Sowie Unterwäsche, Hosen und ein Schlafanzug.
Im Wohnzimmer suche ich nach meinem E-book-Reader. Ich könnte mir vorstellen, dass man in dieser Situation eher nicht an sowas wie einen E-Book-Reader denkt. Wenn er für die restliche Story nicht wichtig ist, ruhig streichen. Wo bleibt mein Mann? Es sind höchstens zehn Minuten bis zu seinen Eltern. Macht ihm der Grill Probleme? Weckt er seine Eltern Komma damit sie ab jetzt auf das Pulled-pork aufpassen?
Es ist Mitternacht und er grillt bei seinen schlafenden Eltern? Klingt merkwürdig. Kleine Erklärung für den Leser wäre nicht falsch.
Eine Tasche! Aber ich bin zu klein, um sie vom Schrank zu holen. Besser:
Eine Tasche! Sie liegt oben auf dem Schrank. Ich strecke mich, gehe auf die Zehenspitzen, doch ich bin zu klein. Komme nicht einmal ansatzweise heran, egal wie ich mich anstrenge. Frustriert gebe ich auf und schaue mich um.
Haben wir irgendwo einen erreichbaren Rucksack?
Wo bleibt er bloß? Was brauche ich noch? Bestimmt muss ich mehrere Tage ins Krankenhaus. Das geht niemals von alleine weg.

Hoffnung
Klack! Jemand öffnet die Haustür. Ein Klirren ertönt gedämpft in unserem Hausflur. Hier fehlen mir die Emotionen, die Erleichterung darüber, dass er endlich da ist, dass das Warten ein Ende hat.
Mit einem Schaben und einem abschließenden Ratschen geht sich die statt sich Wohnungstür auf.
Schemenhaft subtrahiert sich eine große Gestalt vom halbdunklen Hausflur.
Grillgeruch wabert herein, bringt hektische Atemgeräusche mit.
Ich finde deine Formulierungen ja sehr malerisch und bildhaft, doch ich finde, sie passen nicht so recht in die Situation. Deine Prota ist panisch, hat Angst um ihr Baby. Das kommt zu wenig rüber, wenn du so lyrisch schreibst.
Endlich steht mein Traummann vor mir.
Tausend Emotionen fallen aus seinem Gesicht: Angst, Sorge, Unverständnis...
Sie wechseln zu schnell, als dass ich sie alle erfassen könnte.
Sekunden später hält er mich in seinen Armen.
Kurz gebe ich mich seiner Wärme hin, während Schweißperlen von seiner Stirn tropfen.
"Bist du gerannt?" Meine Stimme dröhnt ungewollt vor Härte. Wieso Härte?
"Ich wollte keine Zeit verlieren."
Drehend winde ich mich aus seiner Umarmung: "Wir müssen dringend los!"
Mit einer Plastiktüte eile ich (- die freie Hand schützend um meinen Bauch geschlungen - Bilder, Emotionen) zum Auto - schließlich will ich den Sitz nicht einsauen. Mein Mann schleppt einen Rucksack hinterher.
Auf dem Weg zum Auto weigert sich eine Straßenlaterne, uns den Boden zu erleuchten. Ich stolpere, weil ich an einem Loch im Asphalt hängen bleibe. Verfluche die Gemeinde Komma uns den Bürgersteig schuldig zu sein.
„Wohin willst du?“ Per Knopfdruck startet den Motor unseres Mercedes.
„Ich weiß es nicht.“ Am liebsten zu Hause auf dem Sofa bleiben und abwarten.
„Okay, ich fahre erst mal los.“
Nachdem mein Schatz an die erste Kreuzung heran fährt, presse ich den Namen eines Ortes hervor. In circa 30 Minuten werden wir dort ankommen. Und in etwa acht Stunden wird eine meiner Kolleginnen ihren Dienst auf der Stroke Unit dort antreten und die Ergotherapien der Schlaganfallpatienten übernehmen. Ob sie dann meinen Namen im PC unter den täglichen Neuaufnahmen finden wird?
Große Augen machend, fragt mich mein Ehemann, warum ich nicht in mein Wahlkrankenhaus für die Geburt möchte. "Weil jetzt jede Minute zählt." Zumindest sagt mir das mein Gefühl. Wenn es sich überhaupt lohnt.
Auf meinem linken Oberschenkel spüre ich einen leichten Druck: die Hand meines Mannes. Sanft streichelt er meine Bein.
Einem Impuls folgend, lege ich beide Hände auf meinen Bauch. Ist er noch da?
Bitte gib mir ein Zeichen. Ich drücke mit meiner rechten Hand neben meinen Bauchnabel - es ist die Lieblingsstelle meines Sohnes. Keine Reaktion. Mein Drücken verstärkt sich, während ich tiefe Atemzüge mache.
Da! Eine Antwort. Neben meinem Nabel bildet sich eine tastbare Beule, die gleich wieder verschwindet.
Leben. In mir ist Leben!
Und etwas anderes: ein schmerzhaftes Ziehen am Unterbauch.
Nein, nein, nein.
„Oh nein, ich spüre eine Wehe!“ Schrill hallt meine Stimme aus meinem Mund.
Das Gefühl zu Versagen nistet sich in meinem Kopf ein.
Vor mehr als einem Jahr endete meine erste Schwangerschaft in Woche sechs wegen fehlendem Herzschlag. Soll meine zweite nach 29 Wochen enden?

Stress
"Mein Schatz!" Angst fließt aus meinem Mund. Dunkle Schatten rasen draußen vorbei, ich habe keine Chance sie mit meinen Augen zu erfassen.
Sorgen nehmen mich in den Schwitzkasten. Die Formulierung finde ich super! Noch emotionaler: 'Mir wird die Kehle eng. Es fühlt sich an, als würden meine Sorgen mich in den Schwitzkasten nehmen."
Meine Mundmuskulatur weigert sich zu lächeln. Egal, wie sehr ich sie zwinge. Egal wie sehr ich versuche, positiv zu bleiben.
"Ja?!" Ausrufungszeichen weg
Die Hand meines Mannes streichelt mein Bein fester, schiebt würzigen Rauchgeruch zu mir.
"Du bist zu schnell. Wortwiederholung "schnell". Vorschlag: Fahr bitte etwas langsamer. Ich weiß, du willst uns schnell ans Ziel bringen, aber mir macht die Geschwindigkeit Angst."
Ein Nicken und kurz darauf erkenne ich die Häuser des Nachbarortes auf unserem Fahrtweg. Das unangenehme Unterbauchgefühl bleibt bei mir. Als wäre es mit Sekundenkleber an mir fixiert. Ich will es sofort loswerden, das Fenster runterfahren, es hinaus werfen.
Fuck Wehe! Komma zwischen den Worten? Oder ist es eine Fuck-Wehe? ;-)
Oh bitte, bitte keine Geburt unterwegs. Wie sollen wir das bewältigen? Dann würde er sterben.
Kräftige Tritten (ohne n) neben meinem Bauchnabel wollen mir Zuversicht geben.
Zwischen Uhr und Straße hin und her blickend, Komma weg bange ich um eine rechtzeitige Ankunft. Ein weiteres Unterleibsziehen macht sich über meine Hoffnung lustig. Trampelt auf meinem Traum, eine eigene kleine Familie zu gründen, herum.
No way! Du bist hier nicht der Bestimmer! Es ist mein Körper. Und der hält bis zum Krankenhaus aus.
Drei kleinere Dörfer ziehen an uns vorbei. Endlich treffen wir in der nächstgrößeren Stadt ein. Ein Kreisel, schwach beleuchtete Straßen und etliche überflüssige Kreuzungen passiert unser Mercedes. Sämtliche Fußgängerwege sind der Uhrzeit entsprechend leer gefegt. Kein einziges Auto kommt uns entgegen.
Stetig verringert sich die Distanz zu unserem Ziel.
Vor meinem inneren Auge taucht ein mir vertrautes Gebäude auf. Mit Menschen, mit denen ich gern zusammenarbeite. Oh, Arbeit ... ich sollte mich bei meinem Chef abmelden. Mit wischend-tippenden Fingern übermittel übermittle ich meine vertrackte Situation. Den Ernst der Lage wegen, Komma weg betone ich, keinen Aprilscherz zu machen.
Plötzlich stoppt mein Mann. Warum? Eine Ampel. Wieso schaltet die letzte Kreuzung auf unserem Weg auf rot Rot?
Die Antwort erscheint in Form eines rennenden Tieres. Als das Stadtlicht seine Umrisse verstärkt, erkenne ich lange Ohren: ein Hase.
Diesmal gelingt mir ein Grinsen: Mitten in der Ostersonntag-Nacht rast Meister Lampe bei Grün über die Fußgängerampel! Laut schnaubend löse ich einen Teil löst sich ein Teil - ich glaube, das geht von allein meiner Anspannung.

Hoffnung
Ein großer Komplex löst sich von der Nacht. Seine wuchtige Erscheinung wird von beleuchteten Fenstern begleitet. Noch nie habe ich Dankbarkeit verspürt, dass irgendjemand dieses Gebäude erschaffen hat.
Mit einem Quietschen kommt mein Mann zurück. Er stoppt vor mir. Hier stutze ich. War er denn weg?
"Die Bremsen!" In meiner Berufslaufbahn habe ich die Wichtigkeit festgestellter Bremsen mehr als einmal zu schätzen gelernt.
Er greift nach unten und reicht mir anschließend seine Hand, um mir in den Rollstuhl zu helfen.
Zögernd greife ich zu. Habe keine Ahnung, wie ich mich aus dem tiefen Autositz hieven soll ohne meine Bauchmuskeln anzustrengen. Nicht, dass der Druck auf meine Bauchdecke die Geburt voran treibt. Leicht über meine rechte Pobacke gerollt, kann ich teilweise die vordere Bauchmuskulatur umgehen. Ein weiteres Ziehgefühl, Komma weg drängt mich zur Eile.
Ergeben lass ich mich per Rolli zur Anmeldung befördern. Sybille ist leider nicht da, sie hat frei. Darum muss ich mich darauf einlassen, einer mir wildfremden Anmeldekraft mein Anliegen zu schildern.
"Ich habe Blutungen und vielleicht Wehen. Bin bei 29 Wochen."
Die Augenbrauen der Frau gehen hoch, sie keucht. Komische Formulierung in dieser Situation. Fällt dir etwas Passenderes ein? In diesem Moment des Erschreckens schickt sie uns zur Gyn. Auf eine Wegbeschreibung verzichte ich. Schließlich kenne ich mich im Gebäude aus - die Gynäkologie liegt unmittelbar über der inneren medizinischen Chirurgie mit Stroke Unit, der Schlaganfallstation.
Kaum hat mein Mann die Tür der gynäkologischen Station geöffnet, übernehmen eine Schwester und ein Gynäkologe. Beide erlauben mir keine einzige Sekunden "n" weg, dann Komma anzukommen, heften mich sofort ans CTG zum Wehen schreiben und Herztöne aufzeichnen.
Shit! Echte Wehen!
Um mich herum entsteht Hektik, die die kräftigen Herztönen "n" weg meines Babyjungen überdröhnen.
Ein Stich in meine rechte Handverbindet mich mit einem Tropf mit Wehenhemmer der meine Wehentätigkeit stoppen soll. Die Gyn-Schwester hängt das riesige Teil an einen Infusionsständer und stellt die Geschwindigkeit, mit dem das Medikament in meinen Körper eindringen soll, ein.
Whoa! Was ist das?
Als will mein Herz aus meinem Brustkorb ausbrechen, hüpft es bis in meine Kehle. Angst erfasst mich. Ich will aufstehen, wegrennen, fühle mich jedoch zu schwach.
Alter! Trotz Vorwarnung des Arztes, dass Herzrasen als Nebenwirkung auftreten wird, bin ich überrascht. Nie zuvor in meinem Leben habe ich so etwas spüren dürfen. Meine Umgebung verwandelt sich in Schemen und Satzfetzen. Kälte erfasst meinen Bauch. Dann ein leichter Druck. Der Arzt macht einen Ultraschall. Herzklabasterbedingt bekomme ich vielleicht ein Drittel seiner Untersuchung mit. Aber immerhin das wichtigste: das Wichtigste: Meinem Baby geht es gut. Die Blutung ist Nebensache.

Stress
"Wo ...Sie ... hin?" What?
Mein Mann drückt meine Schulter, sieht mich fragend an.LeerzeichenSeit wann steht mein Schatz neben mir?
Der Arzt wiederholt seine Frage - ich gebe alles Komma um ihm zuzuhören: In diesem Krankenhaus darf ich nicht aufgenommen werden. Fachwissen und Ausrüstung für meine frühe Schwangerschaftswoche fehlen. Um mich muss sich ein Krankenhaus mit Perinatalzentrum kümmern. Dafür soll ich mich zwischen zwei Kliniken entscheiden.
Reflexartig entscheide ich mich für die Landeshauptstadt. Wohl wissend, dass sie mindestens 45 Minuten Autofahrt entfernt ist.
Die Gyn-Schwester kommt mit einer dicken Spritze an, stellt mich unter Zuhilfe meines Ehemannes auf meine Füße. Sie murmelt etwas von Lungenreife und picksen Pieksen . Heftig zucke ich zusammen. Links in meinem Po verschwindet ein Medikament - die Lungenreife.
Why?
"... mich erschrocken." Mit erhobenem Zeigefinger und einem Lachen sieht mich die Schwester an.
"Wofür ist sie?" Unbarmherzig geht die Herzklabasterei weiter, gönnt mir keine Erholung, fordert alles von mir Komma, um ein Gespräch zu führen.
"Das Medikament soll die Reifung der Lunge beschleunigen."
In mir legt ein Sturm los, er macht es mir schwer zu stehen, sodass ich mich sofort hinlegen will. Als will mein Herz meinen Brustkorb zertrümmern, steigert es seine Tätigkeit.
Hilfesuchend sehe ich meinen Schatz an.
Er versteht mich wortlos, stützt meinen Oberkörper, damit ich ins Liegen kommen kann.
Mit geübten Handgriffen platziert die Gyn-Schwester zwei handtellergroße Knöpfe auf meinem Bauch. Sie schließt mich erneut an das CTG an.
"... wegen Wehen ..."
Pferdegetrappel erfüllt den Raum - der Herzschlag meines, unseres Sohnes.
Dann gehen Arzt und Schwester in einen anderen Raum.
Tränen strömen über meine Wangen. Während mein Herz weiterhin Party feiert.
Ich suche das Gesicht meines Mannes. Sehe in seine ultramarinblauen Augen. Seine Pupille ist den Lichtverhältnissen entsprechend weit gestellt. Leider lenkt mich mein Herzrasen vom wunderschönen Gesicht meines Göttergatten ab.
Über achtsames Atmen versuche ich, die Oberhand über meine Körperfunktionen zurück zu erhalten.
Tricky.
Für einen kurzen Moment kann ich die Zahl zur Wehenkurve sehen: 35.
Ich habe keine Ahnung Komma was sie bedeutet.
Bleibt mir nur, mich auf meine Wahrnehmung zu verlassen. Dieses schmerzbesetzte Ziehen lässt nach. Demnach werden Wehen in ihrer Intensität geringer. Bedeutet es, dass es wirkt?
Wärme erfasst meine linke Hand. Sanft umgreift mein Mann meine Finger und streichelt sie.
"... kommt ... Krankenwagen da ..."
Damn!
Wenn der Krankentransport kommt, muss ich meinen Schatz verlassen. Never! Wir sind eine Familie, wir gehören zusammen!
'...in times of celebration, in times of sadness, in times of pleasure and in times of pain, in times of sickness and times of health?' Yes I will - Wie wir uns in Las Vegas geschworen haben!


So, mehr schaffe ich zeitlich nicht, sorry. Es ist echt viel Text.

Ich finde das Thema toll. Schade ist aber, dass ich trotz der dramatischen Situation nicht so recht mit deiner Prota mitfühlen kann. Dafür ist es - finde ich - nicht emotional genug geschrieben. Stattdessen kommt viel zu viel durch, dass sie vom Fach ist. Vielleicht ist sie einfach ein sehr rationaler Typ, ich kann nicht genau beschreiben, woran es liegt. Einzelne Formulierungen wirken einfach zu distanziert.
Ein Beispiel:

[quote]Wärme erfasst meine linke Hand. Sanft umgreift mein Mann meine Finger und streichelt sie.

Ich würde es wohl eher so schreiben:
Sanft ergreift mein Mann meine Hand. Streichelt sie. Er fühlt sich warm an. Fest. Beruhigend. Das tut mir gut. Ich spüre tiefe Dankbarkeit, dass er bei mir ist und mit mir leidet.

Lass mehr Emotionen zu, zeige nicht (nur) in großartig formulierten Sätzen, wie sie sich fühlt, sondern lass den Leser mitspüren, mitleiden. Ich weiß, das ist leicht gesagt. Versuch einfach, nicht so sehr die Fachfrau durchkommen zu lassen, die sich Gedanken um die Schicht ihrer Kollegin macht oder darüber, dass sie sich in der Klinik auskennt, sondern eher die beunruhigte, ängstliche werdende Mutter, die einfach nur fürchtet, auch dieses Kind zu verlieren. Das andere kannst du auch erwähnen, aber mehr am Rande. Halte den Fokus mehr auf dem Gemütszustand deiner Prota, lass uns ihre Emotionen mit ihr gemeinsam durchleben. Hier und da habe ich ja bereits Vorschläge eingestreut. Nimm dir, was dir sinnvoll erscheint.
Ach, noch etwas: Wie wäre es, wenn die beiden Hauptfiguren Namen bekommen? Man fühlt eher mit, wenn man weiß, wie jemand heißt.

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
Den Button findet ihr auf meinem Profil.
Folgende Mitglieder finden das Top: Ylvie Wolf und blauer Granit
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#3

RE: Young Story Award

in Schreibwettbewerbe Anthologien 04.06.2023 19:28
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 546 Beiträge | 1592 Punkte

@Bree: Danke für deine Kritik und dass du dir die Zeit genommen hast.
Es ist meinem eigenen Erleben nacherzählt.
An den E-book-Reader habe ich tatsächlich gedacht, war eine Übersprüngsreaktion. Und mein Mann hat nur "Ja" gesagt und ist sofort nach Hause zurück gekommen.

Ich habe noch etliche Zeichen übrig. Dadurch kann ich vieles von deinen Vorschlägen einarbeiten.


Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
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